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Die Paarversteherin

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© Ewart Reder

Im Haushalt tue ich, was ich kann. Was zugegeben nicht viel ist. Es geht aber nicht nur um das Was, finde ich, wichtig ist auch das Wie eines Tuns. Wenn ich zwei Adjektive nennen sollte, um die Art und Weise meiner Haushaltstätigkeit zu beschreiben, wären es „zuverlässig“ und „freudvoll“. Zuverlässig, weil ich, wenn ich das auch nicht mehr machen würde, als faul gelten könnte. Freudvoll, weil ich mich durch mein Tun minutenlang unangreifbar fühle. Aber ich sehe grad, die Spülmaschine möchte was zu dem Thema sagen:

Na ja, mich würde er eh im nächsten Satz erwähnen. Bin ich es doch, worauf seine Haushaltstätigkeit sich im Grunde beschränkt. Genauer eine Hälfte von mir: mich ausräumen. Wohin Geschirr und Besteck gehören, hat er auf rätselhafte Weise herausgefunden. Okay, nicht dass da nicht anschließend jedes Mal die obligaten Siebensachen noch rumliegen würden, die entweder angeblich neu oder deren Plätze angeblich seit je ungeklärt seien. Oder dass die Chefin nicht „zuverlässig“ ihre mindestens drei Ablageüberraschungen erleben würde jedes Mal. Aber gut, sehen wir es mal nicht so eng. Das macht er und das kriegt er irgendwie hin. Mich einräumen hingegen will die Chefin lieber selbst. Das mache er, wenn er es macht, auf so charakteristische Weise falsch, sagt sie, dass sie ihn dabei jedes Mal wieder kennenlerne. Was offenbar nicht ihre vorrangige Absicht ist. Dabei habe er doch seinerzeit, sagt die Chefin, das Auto, als man noch eins gefahren sei, so vorzüglich beladen jedes Mal vor der Urlaubsreise.

Ein Autokofferraum, wenn ich das einwenden darf, hat auch keine drei unterschiedlich hohen Fahrkörbe mit Features wie Klappstachelreihen für Teller, Tassenetageren, gezackten Kappenleisten mit Gläsersymbol und nicht zu vergessen Korbrollen, weil sonst die Dinger nicht fahren würden. In einen Kofferraum stellt man Sachen mehr oder weniger einfach rein. Wie übrigens auch in einen Geschirrschrank oder ein Tassenregal. Darüber hätte die Chefin mal nachdenken können: Warum kriegt er das hin? Was genau ist beim Mich-Einräumen das Kriterium, das er mit seinem Kenntnisstand und seinen motorisch-kognitiven Fähigkeiten unweigerlich reißen muss? Es hat etwas mit den Vorgaben zu tun, die ich für die Platzierung von Gegenständen in mir mache. Da kann man nicht einfach so angewuchtet kommen und irgendwelche Koffer noch im Laufschritt mit Schwung … Neee. – – – Da braucht es ein ausgeruhtes Auge. Einen kühlen Kopf. Jahrzehnte Erfahrung. Räumliches Vorstellungsvermögen gepaart mit im Laufe der Jahre unverrückbar gewordenen Grundsätzen, einer festen Reihen- und Rangfolge der zu berücksichtigenden Objekte sowie zu guter Letzt das berühmte Fingerspitzengefühl. Das fehlt den Männern ja so bemitleidenswert generell.

An der Stelle mache ich einen Perspektivwechsel. Bis hierher habe ich ausgeführt, wie sich die Dinge aus Sicht der Chefin ausnehmen und wie ich sie mit ihr gewöhnlich bespreche. Das spiegeln wir jetzt mal. Mich-Einräumen aus Sicht der männlichen Hilfskraft. Ganz einfach: Was drin ist, steht nicht mehr rum. Was zu spät kommt, bleibt draußen und fährt beim nächsten Mal mit. Merken Sie was? Die zwei Perspektiven sind miteinander prinzipiell unvereinbar. Das ist Krieg bis zum letzten Teelöffel ohne jede Chance auf eine Verhandlungslösung. Schade nur, dass die beiden das weder kapieren noch irgendeine Neigung entwickeln, ihre Unterschiedlichkeit als Reichtum zu erleben. Auch schade übrigens, dass sie entschiedene Gegner von smart home sind. Für mich wäre smart home die einzige Chance, mich über meine Beobachtungen mit einem intelligenten Gegenüber auszutauschen. Und für die beiden wäre die Chance noch größer: dass nämlich ein Konsilium aus kompetenten Küchen-, Büro-, Unterhaltungs-, Sport- und Erotikgeräten ihre Probleme besprechen und auf dieser Grundlage eine vernetzte Paartherapie entwickeln sowie durchführen könnte.

Die Geschmähte

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Neulich war ich in Kassel, weil ich sie noch mal sehen wollte, die documenta fifteen, falls es sie denn noch gab. Kunstausstellungen werden ja gerne verboten. Obwohl das Totschmähen und -schweigen doch effizienter ist (fernwestliche Weisheit). Tatsächlich habe ich sie bei bester Gesundheit angetroffen:

Guten Morgen, Herr Ewart Reder. Guten Morgen, Herr Volker Beck. Guten Morgen, Herr Sascha Lobo. Möge das Geschenk des Wassers Gottes Liebe aus Ihrer Dusche auf Sie herabregnen lassen. Der Süden hat eine Neuigkeit für Sie: Man muss Wasser gar nicht heizen. Das tu ich gern: teilen, was die ganze Welt weiß außer ein paar Gesellschaften, die sich als Vorleger des Bettes definieren, in dem das Geld mit sich selbst schläft – teilen mit diesen Gesellschaften. Lumbung, die Reisscheune, ist groß genug für alle. Auch für jüdische Menschen selbstverständlich und ganz besonders. Zweitausend Jahre Vertreibung, Ausgrenzung und Vernichtung sichern ihnen die Anteilnahme und Solidarität aller Menschen, von denen viel zu viele Vergleichbares erlebt haben. Nicht Gleiches. Begriffe machen Besonderes gleich, darum erzähle ich lieber. Dass ich Fehler mache, weiß ich, bevor ich sie mache, darum tun sie mir aber nicht weniger leid hinterher. Vielleicht wussten manche nicht, dass der Staat Israel, der viel Gutes hat, seine Regierung und seine Armee Verbrechen begehen. Dann kommt hier die nächste Neuigkeit aus dem Süden: Alle Staaten, Regierungen und Armeen tun das. Und wieder erzähle ich lieber: Deutschland unterstützt, bewaffnet und befähigt damit die Türkei, Volksgruppen in ihrem Südosten und außerhalb ihres Staatsgebiets anzugreifen. Übrigens: Von Opfern dieser Aggression stelle ich eine Kunstdefinition aus, ein Mann aus Rojava erklärt die traditionellen Liebeslieder seines Landes folgendermaßen: Alles hat zu tun mit der Schönheit der Frauen, die alles um sie herum in Schönheit verwandelt und damit in Kunst. Wie gesagt, ich mache Fehler – du darfst auch welche machen. Hiermit spreche ich Menschen an, die das bestehende Weltverhältnis normal und in Ordnung finden. Jede/r kann lernen, sich korrigieren, und ich persönlich will das mehr als alles andere. Lernen. Wie ich zum Beispiel selber gerechter werde. Sodass mich auch Menschen ohne Geld besuchen können. Oder dass nicht alles, was es in meiner Nähe zu essen gibt, das Doppelte kostet wie im Rest von Kassel. Oder dass die sobat-sobat = „Freunde“ = Kunstvermittler:innen nicht die eigenen Masterarbeiten und Kulturkontakte wichtiger finden als die Menschen, die sie führen, oder die Kunst, die sie zeigen. Oder dass die Besucher:innen ihre Meinung sagen können auch außerhalb der spärlichen von mir geschaffenen Gelegenheiten, die gerne weiter geflüstert werden und nur halb öffentlich gemacht. Und dass hoffentlich meine Künstler:innen nicht schon nächstes Jahr das Gleiche sind wie die Auserwählten anderer internationaler Kunstausstellungen: gemachte Leute. Also unecht.

Wozu bin ich hübsch?

Mittwoch, 2. Februar von 15 – 16 Uhr 

Montag, 7. Februar von 16 – 17 Uhr (Wdh.)

WortWellen

Verlorene Fragen treiben auf der trüben Suppe. Aber sie kann trotzdem schmecken und wer will verlorenen Bildern nachtrauern nach einer tiefer unter der Schürze genossenen Wärme? Aber was wird aus mir? Bange Fragen bilden sich neu, steigen an abkühlende Oberflächen. Und was machen sie außer bange?
Die Pandemie hat junge Menschen besonders tief getroffen, verwundet. Sich schützen ist okay, einen anderen Menschen schützen kann das schönste Beginnen sein. Aber was wird aus einem Leben, das noch nichts erfahren hat außer schützenden Aufschub? Das Schönste kann daraus immer noch werden. Sagen zwei Poetinnen, denen ihr heute zuhört, deren Bücher unter eurer Schürze schlagen wollen wie zwei Schwesterherzen: Marica Bodrožić: Pantherzeit (Essay), Safiye Can: Poesie und Pandemie (Gedichte)

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© Ewart Reder

Der letzte Modernist

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Gabriel Josipovici © Ewart Reder

 

Mittwoch, 6. Oktober von 15 – 16 Uhr

WortWellen

Einer leicht phantasielosen Begrifflichkeit zufolge leben wir in der Postmoderne. Davor lebten wir in der Moderne. Das Einzige, was unsere Epoche mit ihrem Namen über sich aussagt, ist also, dass sie nicht mehr „modern“ ist. Und wer sich mit den Begriffen beschäftigt, stellt fest, dass dahinter zwei Programme stehen. Die Moderne gilt heute als utopisch, engagiert, revolutionär und einfacheren Gemütern auch als ’schwierig‘. Dagegen wollte die Postmoderne eine neue Leichtigkeit setzen. Anything goes. Close the gap and cross the border. Mit diesen Parolen wollte man den Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung (vgl. unser Septemberthema) zuschütten, um eine neue Massenkultur (die Popkultur) zu schaffen. Bei vielen interessanten Ergebnissen des Projekts fällt auf, dass die Literatur seitdem vor allem eins geworden ist: konventioneller. „Pappmascheeromane“ nennt der Protagonist von Gabriel Josipovicis Roman „Wohin gehst du, mein Leben?“ die Bücher, mit deren Übersetzung er sein Geld verdient.

Womit der Gegenstand unserer heutigen Sendung benannt ist: Gabriel Josipovici. Der britische Autor hat, weitgehend unbemerkt von der deutschen Leserschaft, eine lange Reihe meist kurzer Romane geschrieben. Und die sind unverdrossen modern. Josipovici veröffentlichte auch ein längeres Essay, das nach den Gründen fragt, warum das moderne Literaturprogramm von den meisten Autor:innen verlassen wurde: „What Ever Happened to Modernism?“. Wir werden uns in einer späteren Sendung damit befassen. Heute geht es um „Wohin gehst du, mein Leben?“, den aktuell einzigen Josipovici-Roman , der auf deutsch lieferbar ist (Jung&Jung). Sowie um zwei weitere Romane des Meisters, auf englisch erhältlich. WW-Redakteur Ewart Reder und sein Gesprächspartner Axel Dielmann, Verleger und Schriftsteller aus Frankfurt, outen sich als Josipovici-Gourmets und -Fans. Im Gespräch über drei seiner Romane wollen sie das Geheimnis des literarischen Einzelgängers anfassbar machen. Wenige Tage vor der Buchmesse sind außerdem spannende Neuigkeiten aus dem Axel Dielmann – Verlag zu erwarten. Many things, go!

Hölderlin und die Frühromantik

© Ewart Reder

Sendetipp von Radio X, Ffm:

Mittwoch, 2. Juni von 15 – 16 Uhr

WortWellen

Noch einmal ist Hölderlin zu Gast bei den WortWellen. Wir dokumentieren eine Veranstaltung der Frankfurter Hölderlinwoche im September 2020, –  die ein Monument des VeranstalterInnenmuts vor der dritten C19-Welle war, Hoffnungszeichen für einen wiedereinsetzenden Herzschlag der öffentlichen Kultur. Professor Luigi Reitani, Universität Udine, fragt nach frühromantischen Beziehungen des Solitärs Hölderlin. Wer das für ein akademisches Thema von gestern hält, dem hält Tim Leberecht in der Süddeutschen Zeitung vom 14. September 2015 Folgendes entgegen: „Die total technisierte Gesellschaft braucht Romantik. Mit Algorithmen und Apps wollen wir unser Leben verbessern. Doch dieser Optimierungswahn entzaubert unsere Welt.“ Es sei denn, wir erleben folgendes Kunststück: Ein Gelehrter, der unsere Sprache wie blank geputztes Tafelsilber benutzt, rückverzaubert uns mithilfe des Verstandes.

Livestream des Senders: www.radiox.de/live

Joy’s Overdrive

 

 

Eine Polka zu Hitlers Todestag
Warnhinweis: Nur laut und betrunken hören! (Aber was sind wir an dem Tag …?)
Bild und Musik: Ewart Reder

Dazu ein Witz:
Sagt ein Jude zu Hitler: Mein Führer, ich verrrate Ihnen ein Geheimnis: Sie werden an einem jüdischen Feiertag sterben. Schnäuzelt der Führer: Woher willst du das wissen? Ganz einfach: Egal, an welchem Kalendertag Sie sterben, es wird von da an ein jüdischer Feiertag sein.

P.S.: Wer an der Aufnahmequalität rummäkelt, muss den Titel drei Mal abschreiben.

Mein Name und andere

© Ewart Reder

 

Über den Ostparksee geht der Blick weiter

in den Ostpark als ich je kam in diesem Park

der die Weite des Ostens hat. Fahrradampeln

aus Saigon würden hier bella figura machen

neben alten Damen die Nachtbeleuchtung machen

mit beigen Plastikmasken um klare Birnen.* Um

den See gehen Männernamen. Sie kommen aus

Frauenmündern gehen in Frauenohren und -unter-

leiber bereit zu verzeihen und das Gute zu sehen

für den Rest eines Frauenlebens.

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* Hommage an Hölderlin

* 1770

Karneval der Zahlen

© Ewart Reder

Was ist mit dem Karneval? Die Universität von Paris (Europas frömmste) entschied im 14. Jahrhundert, dass der Mensch eine Zeit braucht für das Unsinnige in ihm. Das Bild ist ein stummer Protest gegen den Übersinn und präsentiert jede der arabischen Ziffern (1 bis 9) in einer anderen Form (und Farbe). Rate die Zahlen und stoße mit dem Bild an.

_ Ecken eines verborgenen _ -Ecks (Zitronen deuten es an)

_ Kleiderbügel (und auch _ Kaktusblätter )

_ Gäste der Liegewiese

_ südliche Straßenbäume

_ Wellen einer Linie

_ Kaktusfrüchte (oder Zitronen)

_ Rosen

_ _ -Eck (verborgen, s.o.)

_ Flächen in Perspektive