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Premigration!

Wieder ein Hotel – und wieder in Potsdam! Weil CORRECTIV keine Zeit hat, ist die Wahrheitsdrohne hingeflogen und zeichnet alles auf, durchs offene Fenster, im Auftrag von Fox-News, wie sie frech behauptet. Sogar ein Interview wird ihr gegeben, vom Anführer einer Geheimorganisation, die die „Premigration“ von Millionen Deutschen nach Amerika vorbereitet. „Na ja, der Redakteur hätte mal kommen können“, mault der Mann, „aber meinetwegen. Was wollen Sie wissen?“ Die Drohne wird zum ersten Mal gesiezt und verhaspelt sich prompt bei der ersten Frage:

Herr Schmerz, wawawas bebedeutet „Premigration“?

Das Wort habe ich erfunden. Es verbindet die Worte premium und gratia. Ich sage, dass nur die Besten mitkommen, und zwar von Meinen Gnaden. Die Vorsilbe pre deutet überdies an, dass wir dem Projekt der Konkurrenz zuvorkommen: der Remigration. Sehen Sie, Millionen Menschen vertreiben ist anstrengend. Ich mache das nicht. Stattdessen wandern wir selber aus und lassen die Wähler der Konkurrenz mit den Ausländern allein.

Aber Sie sind doch der nächste Kanzler.

Falsch. Ich tue zwar so, als würde ich der nächste Kanzler. In Wahrheit bedeutet aber ein Kreuz für meine Partei auf dem Wahlzettel das Ticket für die Überfahrt. Ich habe mit der Bundeswahlleiterin gesprochen, die Zettel werden gesammelt und mir ausgehändigt. Wer die rechte untere Ecke geknickt und in der Wahlkabine ein Selfie gemacht hat, kommt mit.

Und warum wollen Sie alle weg?

Der große Austausch ist nicht mehr aufzuhalten. Die Konkurrenz streut dem Wähler Sand in die Augen, aber wir wissen: Die Deutschen sollen die Sklaven der Ausländer werden, und das machen wir nicht mit. Die werden schön gucken, die Ausländer.

Sie gucken aber auch ganz schön. Ihr Blick kann einem ja Angst machen.

Richtig. Man nennt mich den BlackRock-Vampir und da ist was dran. Ich entstamme einem alten sauerländischen Vampirgeschlecht. Mein Blick hat die Kraft, alles Deutsche anzusaugen. Ist es angesaugt, nehme ich es mit nach Amerika und weg ist das komplette Restdeutsche aus dem so höchstens noch genannten „Deutschland“.

Warum denn nach Amerika?

Wir folgen da einer Prophetie, die vor hundertfünfzig Jahren ausgesprochen wurde. Damals war es wie heute, der ehrliche Deutsche hatte in seiner Heimat keine Chance. Ihm wurde gesagt: Dein Dorf wird abgeschafft und du musst in einer Stadt leben. Die Bestürzung war groß, keiner wusste, was eine Stadt ist. Man wusste, dass da Zeitungen und Bücher gedruckt wurden, die keiner lesen konnte. Man wollte weit weg sein, wenn es passierte. In der Stunde der Not stand in einem pfälzischen Dorf ein Prophet auf und kündete: „Im Westen, hinter dem großen Wasser, liegt ein Land, in dem es keine Druckerzeugnisse und Städte, sondern nur niedliche kleine Dörfer gibt. In das Land müsst ihr ziehen und hundertfünfzig Jahre warten. Dann wird ein Präsident aufstehen – und nach gestohlenen vier Jahren gleich noch mal aufstehen – , der sich eurer annimmt wie ein Bruder. Euer Bruder wird er sein, weil er von einem von euch, die ihr heute in die Ferne zieht, abstammen wird.“ So sprach der Prophet, den man bald den pfälzischen Marcus Garvey nannte („Exodus! Movement of de Pälzer“). Wobei er mit bürgerlichem Namen Dumbold Trampel hieß.

Ach so, Sie meinen den Trump.

Richtig. Das ist der Enkel. In unseren Tagen erfüllt sich die Prophetie. Ich habe mit dem Präsidenten gesprochen, deutsche Einwanderer sind willkommen. Wenn sie die Schnauze halten und amerikanische Autos und Grenzzäune bauen, vergisst er die Sache mit dem Weltkrieg und den Whiskeyzöllen.

War Trumps Großvater nicht Friseur? Von einem Propheten habe ich noch nie gelesen?

Friseur, Prophet – wo ist der Unterschied? Schauen Sie sich die gelben Haare an. Noch Fragen?

Ja, die hier: Der Großvater wurde vom Deutschen Reich ausgebürgert, als Fahnenflüchtling. Sie sind Fahnenjunker, Herr Schmerz. Ist das dasselbe?

Im Gegenteil. Ich wäre fast Reserveoffizier geworden, hab mir dann aber das Knie wehgetan an der Panzerluke. Die Waffen sind zu klein hier. Wie die Boni. (Lacht)

Noch eine Frage: Werden Ihre Wähler Ihnen auch folgen – in ein unbekanntes Land, so weit weg?

Sie sprechen da ein Problem an, das uns Kopfzerbrechen bereitet hat. Der Prophet drückte sich in der Sprache seiner Zeit aus. Aber seine Jünger glauben ihm aufs Wort. Gesagt hat er: „Wenn ihr den Rauch des schwimmenden Hauses aus dem Tal des großen Flusses aufsteigen seht, dann wallet hurtig hernieder von den Weinbergen ans Ufer und rein in das Schwimmehaus!“ Sie sehen das Problem vor sich. Aber es ist gelöst! Wir lassen tatschlich Raddampfer den Rhein runterfahren nach Rotterdam. Ratter ratter! Die werden mit deutscher Steinkohle betrieben, die wir über die Jahre gesammelt haben. Wo war die versteckt? fragen Sie sich. Antwort: Im Kyffhäuser. Alle deutschen Träume auf einmal werden wahr in meiner Gestalt.

Und ihr Flugzeug?

Ist schon drüben. Mit meinem Kaminpfleger, den hab ich letzte Woche rübergeflogen.

Kaminpfleger? Was ist das denn?

Das ist ein Afrodeutscher, der macht Ihnen ein richtiges Lagerfeuer in Ihrem Wohnzimmer. So was hat der Präsident noch nicht gesehen. Bei mir zieht das immer nicht richtig, darum beschäftige ich einen Migranten in meinem Haushalt.

Und wie wird das mit Trump und Ihnen auf dem Golfplatz? Haben Sie geübt?

Ach wissen Sie, ich seh den Ball nicht mehr richtig. Meine Füße sind so weit weg. Wegen meiner Steifheit eigne ich mich immerhin zu dem, was ich in der Schule war: zum Schläger. In den richtigen Händen hab ich richtig Spaß. Olaf Scholz eignet sich nur als Ball.

Sie und Trump – sehen wir da einer echten Männerfreundschaft entgegen?

Definitiv. Im Puff werde ich eher auf die Anziehsachen aufpassen. Aber die Kamingespräche über Derivate und Krypto werden bestimmt schön.

Am Ende des Tages haben Sie dann aber nichts regiert, nirgendwo. Tut das nicht weh?

Nein. Die Reserve ist mein Ding. Wenn Sie in ein großes Land einmarschieren, entscheidet die Reserve über den Sieg. Aus Zeitgründen. Da wird mein Freund an mir und meinen / seinen Landsleuten noch viel Freude haben. Die Last Americans (L.A.) – so heißt unsere Geheimorganisation – sind einsatzbereit bis zum letzten Schulbub.

Geheimorganisation? Dürfen Sie dann überhaupt mit mir reden?

Ich rede allgemein recht gern. Das ist so eine Art Hobby von mir. Als Politiker habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht.

Der Frustrator

Die Belgrader Straße, in der ich wohne, hat viele dominante Bewohner. Man fragt sich, wen all die Alphawesen überhaupt dominieren wollen. Es müssten Wesen ohne eigene Dominanz sein und die sind in der Straße selten. Autofahrer preschen dieselbe runter, als wären Fußgänger Straßendreck. Fußgänger kratzen sich in der Straßenmitte so konzentriert am Hodensack, dass sie dafür stehenbleiben. Autos haben keine Hoden, müssen nicht ernst genommen werden. Wollte die Straße einen Diktator wählen, gäbe es nur Kandidaten und keine Wähler.

Und doch ist einer, welcher dieses Unbedingt auffallen unendlich sanft … nein, falsch abgebogen, das war Rilke. Einer ist da, muss es heißen, welcher dieses Gerangel mit einer Mischung aus Hartnäckigkeit und unerschütterlichem Glauben an sich selbst seinerseits dominiert. Dieser eine verdient es, als Herrscher der Straße angesprochen zu werden, und ist überraschenderweise ein Hund.

Welche Definition von Herrschaft willst du? Immer das letzte Wort behalten. Sich in alles und jedes Verhalten anderer einmischen. Keinen Anspruch neben dem eigenen anerkennen. Der Hund unseres Nachbarn erfüllt sämtliche Kriterien für Herrschaft. Ausgeübt wird diese von ihm durch Bellen. Gerne bellt er anlasslos. Zum Beispiel morgens früh um halb fünf, wenn in dieser Straße kein Mensch, kein Hund und keine Maus unterwegs ist, bellt er. Wie tut er es? Ich würde sagen: nachdrücklich. Jedes einzelne Wau ist ihm wichtig, weshalb er zwischen den Einzelwauen kurze Kunstpausen macht. Wie Eltern, die der Nachkommenschaft eine Mitteilung einhämmern wollen: Jeder Hammerschlag muss sitzen, jedes Wort, jedes Wau so präzise, dass man denkt: Dies Wau war  wirklich unvergleichlich eindrucksvoll. Was nie stimmt, weil das nächste immer noch bedeutender ausfällt.

Denkt zumindest der Hund und kriegt nicht genug von seiner Bedeutung. Bis ihm plötzlich ein Wau verrutscht. Kriegen Hunde Stimmbruch? So klingt jedenfalls das meinetwegen achtunddreißigste Wau und der Hund merkt: Mist, der eine Patzer kratzt an der Würde meiner Rede mehr als die siebendreißig Treffer vorher zu ihr beigetragen haben. Was mach ich bloß? Die Antwort lautet: Weiter. Nur die Länge des Vortrags bietet die Aussicht, den Patzer beim Publikum in Vergessenheit zu bringen, in Kombination damit, dass fortan alles klappt. Was es nie tut – da capo al infinito. Der Spaß kann dauern.

Wer übrigens fragt, woher ich wissen will, was der Hund denkt: Für sowas hat man seine Wahrheitsdrohne.

Der Hund wiederum hat für sein Bellen seine Gründe. Achtzig Prozent der Performance sind nicht anlasslos – wenn auch ansatzlos. Ein Fehlverhalten, das sich in Gegenwart des Hundes vorzukommen erlaubt, braucht eine Antwort. Der Hund bellt noch ein Achtel lustvoller, als wenn er einfach so bellen muss, weil man ihm den Anlass verweigert. Beispiel: Ein fremder Hund, der die Straße daherläuft und unter dem Balkon des Nachbarhundes die Frechheit des Bellens hat. Das macht der nicht noch mal! Beziehungsweise das macht der noch ganz viele Male hintereinander, weil er jedes Mal, dass der Nachbarhund sein „Schluss jetzt!“ bellt, sein „Nee, noch nicht!“ dahintersetzen muss. Und trotzdem ist irgendwann Schluss. Denn der Fremde muss weiter und der Nachbarhund nicht, der wohnt hier. Der kann länger. Der hat immer das letzte Wau. Und das wars doch, was er von Anfang an sagen wollte Herrgott. Hätts der Fremdköter mal nach dem ersten Wauwechsel eingesehen. Oder die Katze steht nachts vor unserem Haus und will rein, warum auch immer. Sie macht ein weinerliches Geschrei, das hat sie von den Babys und Kleinkindern in der Straße gelernt. Es wirkt. Ich will sie sofort reinlassen, bin aber zu müde aufzustehen und warte erst mal, was der Hund sagt. Er bellt. Mitten in der Nacht hat keine Katze Lärm zu machen. Das lernt sie einmal. Zweimal. Dreimal. Die Katze gibt auf. Ehrlich, so dringend kanns doch dann nicht gewesen sein. Bleibt sie eben draußen. Brauchen wir nicht alle diese Momente, wo unseren Ansprüchen mal Grenzen gesetzt werden? Ich mag in diesem Moment den Nachbarhund. Genüsslich drehe ich mich im Bett um und vergesse die Schreie der eingesperrten Anti-Lithium-Protestler, ääh der Katze, als hätte es sie nie gegeben. Das Leben kann so einfach sein.

Als mich gegen Morgen ein Hustenreiz packt, drücke ich meinen Kopf ins Kissen. So ein Husten, frei rausgelassen, kann als Geräusch verwechselt werden. Ich will keinen Ärger. Ich muss Dominanz nicht herausfordern. Ich bin der Nachbar. Ich akzeptiere meine Grenzen.

Der Name des hiesigen Staatspräsidenten ist übrigens dem Geräusch, das der Nachbarhund macht, nicht unähnlich. Er kommt kraftvoll aus den Tiefen der Manneskehle. Und bricht dann ab wie die Stimme eines Jungen im Stimmbruch. Oder wie ein Klaps, den die Ehefrau dem Mann auf das dauerredende Mundwerk gibt. Zwischen den Fingern witscht noch etwas Luft durch. Dann ist Ruhe im Hause Vučić.

Was zusammenhält

Was ist Kultur? Die von Herder und Hegel bis Derrida und Eribon oft gestellte, ebenso oft verkomplizierte Frage beantwortet sich einfach: Kultur ist, was Sommerpause macht – minus Politik. Die Wahrheitsdrohne weiß das, ist pünktlich weggeflogen. Was bleibt mir als ihr nachzureisen? Ins 2024 zum dritten Mal in Folge und überhaupt mit Abstand am häufigsten als „lebenswerteste Stadt der Welt“ vom britischen Economist ausgezeichnete Wien geht es. Ich will wissen: Wer oder was macht Wien so lebenswert?

Am Abend meines Ankunftstags besuche ich die nächstgelegene Grünfläche: den Rathauspark. Operngesang erfüllt ihn. Wie das? frage ich einen Mann, neben dem auf der Parkbank zwei Rucksäcke stehen – ein Durchreisender. Ich frage erst, als er seinen von der Hochkulturkonkurrenz ungerührten Mundharmonikavortrag erstmals unterbricht. Open-Air-Kino sei das, nicht live. Das muss ich mir anschauen. Hinter der nächsten Baumgruppe sehe ich die Leinwand, davor Hunderte Kinder, Eltern, Hunde. Einträchtig und kostenlos genießt man, was sich am Originalschauplatz keiner leisten könnte. Die Stadt bezahlt, Abend für Abend. Was ich erst am nächsten Morgen erfahren werde: Gleichzeitig läuft am Karlsplatz, fünfzehn Fußminuten entfernt, das nächste Umsonst-und-Draußen-Spektakel: Wiens Popfest. Vier Seiten im Falter, der ‚Zeitung Sprizz‘, umfasst das Line-Up, vier Tage und Nächte Halligalli, bezahlt hauptsächlich von der Stadt. Wäre ich einen Tag früher angereist, hätte ich Nino aus Wien gehört – ein Traum. Die Wirklichkeit: Am nächsten Tag gehe ich wieder in den Rathauspark mit dem Plan, hernach das Popfest heimzusuchen. Es kommt anders. Von der Leinwand und der stadiontauglichen PA dröhnt ein volles Coldplay-Livekonzert und danach geht die Party an den umliegenden Bier- und Würstlständen erst so richtig los. Wunschlos schwänze ich das Popfest.

Was man zwischendurch mal muss, geht in Wien unfassbar einfach. Überall gibt es öffentliche WCs. Und die verstecken sich nicht (wie in den Einkaufszentren von Frankfurt, das sonst gar keine hat), sondern stellen an den Straßenecken Schilder auf, die zu ihnen hinführen. Wiederauffüllen kann man sich an den unzähligen Brunnen und Trinksäulen. Die tropischen Augustnächte und -tage lang versprühen Masten auf Knopfdruck frisches Aerosol. Das Ruhedürfnis stillen flächendeckend Bänke und Einzelstuhlpaare. Extrabreit sind die und nicht volkspädagogisch abgeschrägt wie in Frankfurt: damit man keine Bierflasche draufstellen kann. Einträchtig steht die Gastronomiebestuhlung neben der öffentlichen an der Gasse – soll doch jede/r selbst entscheiden, wo er oder sie sitzt. Man ist hier so gut zu mir! Und „man“ heißt ein ums andere Mal: die Gemeinde Wien.

 

Herumgesprochen dürfte sich haben, was die für das Wohnbedürfnis tut, schon seit über hundert Jahren. Klafft in der atemberaubenden k.u.k. Zuckerbäckerbebauung eine Lücke, die von einem unansehnlichen Behelfsbau gefüllt wird, dann schämt man sich für den nicht, sondern schreibt in fetten roten Lettern drauf: „Wohnhausanlage der Gemeinde Wien, erbaut in den Jahren xy“. Wie ein Mantra grüßt der Spruch den Straßenbahn Fahrenden vielhundert Mal. Die große Zeit des öffentlichen Wohnungsbaus kam nach dem Ersten Weltkrieg, als fortschrittliche Architekten und Verwaltungen den Bedarf arbeitender Menschen zum Maßstab machten, ganze Stadtviertel ein modernes Aussehen annahmen und dabei mit Kindergärten, Gemeinschaftshäusern, Grünflächen und Kunst am Bau vielfältigen Bedürfnissen nachkamen. Frankfurt war damals Wiens Schwesterstadt in der Architekturrevolution. Die oberbürgerlichen Meisterspekulanten der letzten Jahrzehnte, gern SPD, traten das in die Tonne namens Vergessenheit.

 

Ich fahre mit der U4 zur Endhalte Heiligenstadt, stehe vor dem Karl-Marx-Hof, der berühmtesten Wohnanlage des „roten Wien“. Mein Stadtführer zeigt mir das Bild einer reliefierten Keramikfigur und nennt sie „der Sämann“. Ich frage mich zu der Figur durch und stutze: Die Figur sät nichts, sieht auch nicht aus, als besäße sie das Nötige. Die Hände greifen dahin, wo Hosentaschen wären, hätte die Figur genug an, woran Taschen zu befestigen wären. Bettelarm ist der Mann. Seine Hände machen die Geste der Armut: Sie drehen leere Hosentaschen um. Nein, der richtige Sämann steht dreißig Meter weiter vor dem Haus, ist eine Bronce und wurde 1920 von Otto Hofner geschaffen. Ein hübscher, durchtrainierter Bursche, erinnert von fern an Michelangelos David, womit das Tuch, aus dem er sät, auch ein Beutel sein könnte, in dem Steine warten würden darauf, auf gepanzerte Gegner geschleudert zu werden. Der kecke, freistehende Säman erntet zehn Jahre später vom vorerwähnten Keramiknachbarn an der Hausfassade Widerspruch. Josef Franz Riedels Figur von 1930 heißt zwar „Befreiung“, was insofern stimmt, als die Eisenringe um den Hals und um die Handgelenke nicht mehr durch eine Eisenkette verbunden sind. Das wars dann aber auch mit der Freiheit. Bettelarm ist der Mensch und die Stigmata seiner Sklaverei trägt er weiter mit sich herum.

Wenige Jahre später, im Februar 1934 erlangt der Karl-Marx-Hof traurige Berühmtheit, als hier die blutigsten Auseinandersetzungen stattfinden zwischen bewaffneten Arbeitern und den Truppen der Dollfuß-Diktatur. Bundesheer und Heimwehr müssen die Wohnanlage mit Kanonen beschießen, erst dann geben Kommunisten und Republikanischer Schutzbund auf. Unlängst, im Juni 2024 wurde am Karl-Marx-Hof wieder geschossen. Sieben Schüsse sollen es gewesen sein, aufgeklärt ist die Sache bisher nicht. In einigen Wiener Parks kam es in letzter Zeit zu Messerstechereien zwischen ethnisch diversen Gruppen von Jugendlichen, um Fragen der ethnischen Zugehörigkeit. Dahinter wuchern Ängste vor Entrechtung, falls Österreich mit den Nationalratswahlen im September nach rechts umkippen sollte. Die Regierungen des Bundes und der Länder haben gemeinsam die Versorgungsstandards für Flüchtlinge gesenkt. Wien macht da nicht mit, zahlt weiter wie bisher. Ob all die Wohltaten für den Stadtsäckel denn bezahlbar seien, frage ich beim Wein den studierten und berufserfahrenen Betriebswirt, dessen Gast ich bin. Wenn es den Zusammenhalt der Menschen fördere, sei das Geld bestens angelegt, meint der.

Ich erlebe ihn hier ständig, diesen Zusammenhalt. An der Supermarktkasse begrüßt die Kundin vor mir die Kassiererin mit „Junge Frau, ich krieg es billiger“. Sie klebt zwei kleine Marken auf Waren aus ihrem Einkauf. „25% Rabatt“ steht drauf. Dann dreht sie sich zu mir um. „Und der junge Herr auch“, sagt sie und versieht drei meiner fünf Artikel mit ihren Märkchen – zielsicher die teuersten.

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Rotkäppchen und der braune Wolf

Denke ich an die neueren, längst nicht mehr neuen Wahlergebnisse in Europa, packt mich das Grauen. Rechts außen braucht es keine Argumente, kein bürgerliches Mäntelchen und nicht mal den Mindestleumund der Gesetzestreue mehr – die werden immer gewählt. Der Gedanke beschleicht mich, die bürgerliche Mitte könnte schon so schwach sein, dass ich ihr etwas Gutes tun muss. Sie wählen zum Beispiel. Um das noch Schlimmere zu verhindern. Von der Weimarer Republik erzählt man sich, sie sei untergegangen, weil die Mittelparteien nicht mehr gewählt wurden. Daran ist ein Haken, den ich in einer Koproduktion mit den Gebrüdern Grimm zu bezeichnen hoffe.

Reden wir über Rotkäppchen, das liebe Arbeitermädchen, das alle gernhatten und das solidarisch handelte mit den Schwachen. Wie der Name sagt, die Kappe zeigt und die Einstellung beweist: Rotkäppchen war links. Als nun das liebe Rotkäppchen erfuhr, dass es seiner bürgerlich-parlamentarischen Großmutter schlecht gehe, wollte es nicht säumen sie zu besuchen und ihr zu bringen, was die Gesundheit der betagten Frau wiederherstellen konnte. Kuchen und Wein, so viel ein proletarischer Haushalt davon hergibt, packte die Mutter in Rotkäppchens Korb. Aber Rotkäppchen wusste, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern auch etwas Schönes braucht. Darum ging es bewusst vom Weg ab, als es die hübschen Blumen auf der Wiese sah, brauchte dafür nicht den Ratschlag des durchtriebenen Wolfs, sondern nur Augen im Kopf und, zum Pflücken, Hände an den Handgelenken, proletarische Grundausstattung. Schon hatte es beisammen, was die bürgerliche Großmutter gernhatte und von ihren arbeitenden Kindern und Enkeln auch pünktlich einforderte.

Dem bösen Wolf ist Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter also gar nicht begegnet, behaupte ich (auch wenn der Grimm der Gebrüder mich von hier an verfolgt). Sie hat zwar von ihm gehört, weiß, dass er gerne Menschen frisst und da angeblich nicht wählerisch ist, alte Damen genauso mag wie Mädchen mit rotem Barett. Aber das sind Medienberichte. Man weiß nicht, was dran ist. „Warum sich um sowas einen Kopp machen?“ denkt Rotkäppchen, geht frohgemut zum Haus der Großmutter – einer stattlichen Villa mit Garten, der alles trägt, was Rotkäppchens Familie gern hätte – und klingelt. Nach der Gesichtserkennung durch die Sprechanlage und einer partiellen Deaktivierung der Alarmanlage tritt Rotkäppchen ein, geht zum Schlafzimmer der Großmutter und macht erst mal ein Kompliment: „Oma, du siehst aus wie immer.“ Dann erkundigt es sich nach dem Ergehen. Oh, ganz schlecht sei das, heißt es. Auf Lebensmittellieferungen und Blumensträuße müsse die Großmutter immer länger warten. Der Egoismus der Produzierenden nehme krass zu, andauernd streiken würden die. Neuerdings gebe es sogar Lieferkettengesetze und Pflanzenschutzauflagen, als ob Steuerlast und Bürokratie für ihresgleichen nicht schon lebensbedrohlich genug wären. Das Land „Euer Opa“ sei nicht mehr wettbewerbsfähig und sie, „euer aller Oma“, lasse sich nicht länger von selbstsüchtigen Nachfolgegenerationen auf der Nase herumtanzen. Andere Saiten würden jetzt aufgezogen, schreit die Großmutter und rasselt dazu mit einem Schlüsselbund, das Rotkäppchen noch nicht kennt.

„Hier sind Kuchen und Wein“, versucht es Rotkäppchen, „und da ein hübscher Blumenstrauß.“

„Zu spät“, schnauzt die Großmutter, wobei rechts und links in ihrem Maul stattliche Reißzähne aufblitzen. „Komm mal mit, Kleines“, sagt die angeblich Kranke, springt aus dem Bett und zieht Rotkäppchen hinter sich her durch Haus und Garten zu dem Tor eines weitläufigen Zwingers, in dem Rotkäppchen sogleich den Wolf erblickt. Er ist braun, was Rotkäppchen irritiert, sieht sonst aber aus wie im Schulbuch. Die Großmutter steckt mit der Rechten den Schlüssel ins Torschloss und reckt den Zeigefinger der Linken hoch in den Himmel. „Das habt ihr nun von eurer Frechheit. Mit diesem Wolf gemeinsam habe ich in Thüringen schon einen Ministerpräsidenten gewählt und Grunderwerbssteuern gesenkt. Den lasse ich jetzt raus und in mein Schlafzimmer. Das heißt, zu allererst lass ihn dich zu Rote Grütze pürieren und wegputzen.“

Rotkäppchen streckt ihrerseits einen Zeigefinger in die Höhe. Er zittert. Reflexartig nimmt die Großmutter ihr Enkelkind dran: „Ja, Rotkäppchen?“ Das Kind gibt alles, was es in der Schule gelernt hat, auch rhetorisch: „Großmutter, wenn du das machst, frisst der braune Wolf uns beide, das hat er nämlich schon ganz oft gesagt.“

„Pech, Grünschnabel, dass du es geglaubt hast“, sagt die Großmutter. „Der Wolf da frisst keine Inhaberin einer Bankkarte, deren PIN er nicht kennt. Uns mag er nicht, aber unser Geld. Und wenn wir ihm zeigen, wie er drankommt, mag es uns auch irgendwie.“ Damit öffnet die Großmutter das Zwingertor. Rotkäppchen fragt sich, ob der Wolf es lange neben der Großmutter in deren Bett aushalten wird. Es ist Rotkäppchens letzter Gedanke.

Moral aus der Historie: Wenn die Mitte bereitsteht dafür, die extreme Rechte an die Macht zu bringen, ist die Mitte kein Schutz, sondern die akute Hauptgefahr.

Moral-PS: Von links mit der Mitte koalieren kann helfen – so lange kommt Rechts nicht dran.

Moral-PPS: Die angeblich rechten 16- bis 24jährigen Deutschen haben bei der Europawahl genauso viel AFD gewählt wie der Durchschnitt – aber nur gut halb so viel CDU!

Platonic World War Drumz VSTi v1.01 x86 Windows PayWare

War Drumz is a unique VST not quite a drum machine and not quite a Synthesizer, it contains elements of both and new features not seen on either. Features like the Variable Rhythm Generators that create the rhythms and the Bi-polar Distortion, kind of a mix between a bit crusher,…

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Im Eck ich steh, ich tu ihm weh – wer bin ich?

Gleich wird es hier so persönlich, dass ich keine Zeugen gebrauchen kann. Ich muss mit dem Gegenstand meiner Auseinandersetzung allein sein, weshalb ich ihn direkt ansprechen werde. Achtung, ich spreche: Wie – frage ich dich – soll es zwischen uns weitergehen? Was für Qualen gedenkst du mir weiter zu bereiten, die ich nicht entweder schon kennen oder aber mit endgültiger Trennung von dir beantworten würde?

Ach guck mal, die Wahrheitsdrohne schwirrt ab. Ernsthafte Beziehungsarbeit ist nicht so ihr Ding, scheints.

Wo war ich stehengeblieben? Richtig: bei meinen Qualen. Bei meinen Schmerzen. Stehend vor dir als der Ursache denke ich Sachen wie: Bin das wirklich noch ich? Ich kann nämlich zwischen dir und mir nicht mehr unterscheiden, so nah sind wir uns gekommen. Du bist ein Teil von mir geworden. Du wütest in meinem Innersten. Der Schmerz, den du mir bereitest, füllt mich aus wie das Bier das Glas. Man sagt „Glas“ und meint in Wirklichkeit Bier, das sich in einem Glas befindet. Ich betrachte mich im Spiegel und sehe in Wirklichkeit dich. Was du mir angetan hast, zeichnet sich ab in meinem Gesicht, vollständig. Oder nicht mal: Ich bräuchte zwei Gesichter – wie meine wohlhabenderen Freunde zwei Bildschirme auf ihrem Schreibtisch stehen haben – um alles anzeigen zu können, was du mir angetan hast. Die ganze Breite der Palette, mit der du den Schmerz in meine zwei Gesichter gemalt hättest.

Zwei Wochen vor Weihnachten fing es an. Ich dachte sofort über Trennung nach, wollte aber das Fest noch ein Mal mit dir erleben. Ich brauchte dich für dieses Fest, für seine dreitägigen Freuden. Und irgendwie lief es sogar. Ich dachte schon, du wolltest dich vertragen mit mir.

Aber nein. Zwei Tage nach Weihnachten ging es wieder los. Ich schluckte Tabletten und Alkohol durcheinander, um zu verarbeiten, was du mir neuerlich antatest. Und ich schluckte die Einsicht, ärztliche Hilfe zu benötigen. Im weiten Rund unserer gemeinsamen Heimat telefonierte ich nach Beistand. Alle waren im Urlaub und verwiesen auf Vertretungen in Bundesländern, die ich noch nie bereist habe. No way. Wir würden zusammen ins neue Jahr gehen, soviel war klar. Unberaten und ohne ärztliche Aufsicht würden wir über die Zukunft unserer Beziehung entscheiden, glaubte ich.

Dann überschlugen sich die Verwicklungen. Den Jahresanfang hindurch telefonierte ich ganztägig mit Fachärzten. Ihr Urlaub war verlängert worden. Als der Telefonseelsorge die Ratschläge ausgingen, suchte ich einen Notdienst auf. Der jugendliche Arzt riet zu einer analytisch bohrenden Paartherapie. Ich flüchtete mich in einen zwei Wochen späteren Termin bei einem Niedergelassenen. Der war noch jünger und empfahl die Trennung. Liegend auf seiner Couch traf mich der Schlag. Ich argumentierte mit der besonderen, unverzichtbaren Stellung, die du in meinem Innern einnehmest. Verlöre ich dich, werde dort alles zusammenbrechen, weissagte ich und entkam dem Weißkittel mit letzter Entschlusskraft. „Ich kann nicht ohne ihn leben!“, rief ich durch den Spalt der zufallenden Praxistür.

Jetzt ist es raus. Es geht nicht um meine Frau. Du, Schmerzgebärender, stehst mir näher als sie, begleitest mich auch schon Jahrzehnte länger. Schwul bin ich allerdings auch nicht geworden. Es ist alles komplizierter. Du seiest in Wahrheit schon abgestorben, hatte der Niedergelassene gesagt, werdest mir so jedoch noch gründlicher wehtun als zu Lebzeiten.

Ich weiß nicht, ob es stimmt. Ich spüre nur noch einen unbestimmten, fast nostalgischen Schmerz, wenn ich an dich denke. Auch frage ich mich, ob ein so junger Arzt die Probleme einer so langen Beziehung überhaupt versteht. Er geht doch von frisch Verliebten aus, die schmerzfrei zusammenarbeiten – weil es das ist, was er kennt. Solche Ansprüche stelle ich aber nicht. Ich stehe zu dir mit all deinen Mängeln und Beschädigungen. Selbst dein Tod nimmt dir nichts von deiner Bedeutung für mich, wenn du nur bitte, bitte weiter mein Essen kleinmachst. Ich putze und pflege dich liebevoller als in deinen strahlenden Jugendjahren – und du zahlst mit Verweigerung und heimsuchendem Schmerz zurück?? Die Wut, die ich so langsam auf dich habe, wird mir helfen müssen mich von dir zu trennen.

Wenn ich Francoise Rosay ein dentistisches Bonmot in ihrem hübschen Mund umdrehen darf: Zähne sind wie Frauen. Es dauert lange, bis man sie bekommt. Und wenn man sie hat, tun sie einem weh. Und wenn sie nicht mehr da sind, hinterlassen sie eine Lücke. Eigener Zusatz: Die größte Lücke hinterlassen die, die immer (still) in der Ecke standen.

Schuster, bleib bei unseren Flügeln

Es begab sich aber zur Weihnachtszeit, dass ich gen Frankfurt-Sachsenhausen radelte, um ein Geschenk zu kaufen. Kein Weihnachtsgeschenk, sondern ein Bild für eine der vielen Wände der Wohnung, die sich ein Freund gerade gekauft hat. Auf der Fechenheimer Fahrradbrücke erreichte mich der Anruf einer jungen Autorenkollegin, die ich in Sachsenhausen treffen wollte. Sie sei gerade in Fechenheim. Also verabredeten wir uns in einer kleinen Cafè-Galerie dortselbst.

Die Inhaberin hatte mich vor vielen Jahren zu einer Lesung eingeladen, seitdem nicht mehr gesehen. Nun wollte sie wissen, wie es mir in der Zwischenzeit ergangen sei. Ich weiß nicht, warum ich nach drei Sätzen bei einem Thema war, das die Dreiviertelstunde, die wir auf meine Kollegin warteten, vollständig ausfüllte. Es war das Thema des schreibenden Verlegers. Ja, berichtete ich wahrheitsgemäß, der Verleger, bei dem ich vor Jahren rauskam, schreibt jetzt. Also selber. Ja genau, Bücher. Ja wie ich das denn fände. Ich weiß nicht, ob die Galeristin überhaupt dazu kam, es mich zu fragen, so schnell antwortet ich: Na ja nee!! Also nicht so. Das heißt … ja ja, doch doch! … Das Schlimmste ist nämlich: Er schreibt gut. Eigentlich in Ordnung also, oder was heißt in Ordnung, unbedingt notwendig, dass seine Sachen erscheinen, dass sie dann auch gekauft, gelesen, geliebt werden. Ja doch.

Und ich? Und wir, seine Autorinnen und Autoren? Was wird aus uns?

Immerhin: Im Unterschied zu manch anderem verlegt der Verleger seine Werke nicht selbst, sondern bietet sie Kolleg:innen an. Und die drucken sie aus dem einfachen Grund, dass sie gut sind. (Habe ich „leider“ gesagt?) Insofern trennt er die zwei Herzen in seiner Brust sauber. Dann kommt allerdings Jesus und guckt genauer hin: „Wo dein Schatz ist, da wird dein Herz sein.“ Welches der zwei Herzen schlägt? Ich weiß nur das: Mein letztes Buch bei dem Verleger hatte genau eine Lesung, die der Verlag für mich arrangiert hat. Im selben Jahr hatte der Verleger mit seiner eigenen Neuerscheinung zwanzig Lesungen. Nein, die hat nicht sein Verlag für ihn arrangiert. Und ja, ich hatte zehn Lesungen mehr als er. Aber bei der Hälfte war es eine lange, lästige Stange Arbeit für mich, sie zu verabreden. Das nächste Buch habe ich dann in einem anderen Verlag rausgebracht.

„Weil da zwei Kolleginnen hartnäckig für dich geworben haben“, plärrt die Wahrheitsdrohne dazwischen. Sie hat Recht. Das ist die Hauptnachricht dieser Glosse. Sowas tun Autorinnen auch (gendern will ich hier nicht, Goethe hat Recht: Frauen sind die besseren Menschen): selbstlos helfen. Und das, obwohl, wie ich bald erfuhr, die Guten und ich plus zweihundert Weitere das bekannte Problem haben: Auch dieser Verleger schreibt. Schon viel länger als ich veröffentlicht er Literatur. Und muss ich es noch hinschreiben? Es war ja so klar. Es konnte ja nicht anders kommen: Seine Sachen sind gut. An der Stelle ungefähr kam die junge Kollegin zur Tür reingestolpert, fiel auf einen Stuhl, klappte vor mir ihren Laptop auf und sagte, während sie in aller Ruhe aus dem Mantel kroch: „Hier, lies das mal. Hab ich heute geschrieben. Aber lies es genau. Ich glaub, ich hab noch nie was so Gutes wie das geschrieben.“

Und wieder stimmte es. Nachdem ich drei Seiten gelesen hatte, hatte ich allerdings eine Vision und tat nur noch so, als ob ich weiterläse. Vor meinem inneren Auge stand ein nicht endendes Schuhregal, in dem lauter geflügelte Schuhe standen. Ein selbstloser Mensch hatte diese Schuhe für uns, seine Autor:innen, angefertigt, damit unsere Literatur sich in alle Winde verbreitete. Ich war so gerührt, dass ich kaum aufwachte von der Frage, die die Kollegin mir schon dreimal gestellt hatte: „Sag mal, könntest du bei deinem Verleger anfragen, ob er das Buch vielleicht machen will?“ „Ich weiß nicht“, antwortete ich, „ob das der richtige Platz wäre. Da sind schon so viele Autoren … Und dein Manuskript hat das Potenzial für einen großen Publikumsverlag, wirklich. Also ich an deiner Stelle …“ „Schon gut, war ja nur ne Frage“, lenkte die Jungautorin ein und ich hatte ein schlechtes Gewissen. „Aber du hattest auch ein Bisschen Recht“, schnattert die Wahrheitsdrohne plötzlich. Dass die mal was zu meinen Gunsten sagt!

Ich tat, was schlechte Menschen tun, wenn sie nicht weiterwissen. Ich lenkte ab, mit einem Hinweis auf die Bilder, die an den Wänden der Galerie hingen. Nach ein paar Höflichkeiten fiel mir ein, dass ich auf der Suche nach einem Bild war. Aber bitte keins von denen, wusste ich. Da bemerkte ich eine kleine Arbeit, die in der hintersten Ecke des Raums auf einem Bücherbord lehnte und, wie ich bei Annäherung sah, schon eine Weile vor sich hin staubte. Sie gefiel mir auf Anhieb. „Ach das“, sagte die Galeristin. „Das ist von mir.“

Ich handelte den Preis geringfügig runter und kaufte das Werk einer Galeristin, deren Ausstellung von in Öl gemalten Porträts mich und die Galeristin, während ich mich verabschiedete, aus einem Dutzend Augenpaaren hasserfüllt anstarrte.

gedruckt in der Frankfurter Rundschau vom 21.12.2023

Wenn einer Reisen tut

Hochmut kommt vor dem Fall. „Du bist doch gar nicht gefallen“, schnurrt die Wahrheitsdrohne. Kinder und Drohnen sind üble Rechthaber. Was ich sagen will: Ich war immer so stolz darauf, sämtliche Fahrradstürze selbst gebaut zu haben, ohne die Mithilfe all jener Kraftfahrer (alle männlich, gendern wäre hier lügen), die schon versucht haben mich mit ihren Kraftfahrzeugen zu töten.

Jetzt hats einer geschafft. Also mich angefahren, ich lebe ja noch (Tote schreiben keine Kolumnen). Jetzt ist es aus mit dem Stolz und der dazugehörigen Sicherheit, in der ich mich gewogen habe. Autos können auch anders. Nicht nur fahren, als ob es keine Radfahrer gäbe, und zynisch recht behalten damit, weil der Radfahrer am Ende doch nicht tot ist, obwohl das Auto alles getan hat dafür. Sondern genauso fahren und am Ende auch treffen.

Ja, es war dunkel. Ja ich hatte einen dunklen Mantel an. Der Zebrastreifen, an dem es geschah, war aber in grelles Licht getaucht. Und ich befand mich, ehe es geschah, mit meinem Fahrrad längst auf dem Zebrastreifen. Also nicht das Spiel ‚wer zuerst drauf ist‘, das ich auch schon gespielt habe, zugegeben. Nein, ich bin drauf, beinahe schon drüber und merke plötzlich: Das interessiert den Autofahrer nicht, der von links kommt. Der vermindert seine Geschwindigkeit nicht. Okay, denke ich, jetzt hast du noch genau eine Chance: scharf nach rechts, zurück an den Straßenrand. Vielleicht schafft er es noch vorbei an dir. Aber nix. Der Fahrer will nämlich rechts abbiegen und nimmt mich auch am Straßenrand auf die Hörner. Vulgo: klemmt meinen linken Fuß mitsamt Pedal zwischen Rad und Radkasten ein, schleift mich ein Stück mit und bleibt dann stehen.

„Wenn du Leute töten willst, kauf dir ein Gewehr!“, schreie ich. Was man manchmal redet. Da sind schon sinnfreie Sachen dabei. Umgefallen bin ich nicht, der Punkt geht an die Wahrheitsdrohne. Ging nicht, weil der Fuß eingeklemmt war. Mühsam zoppele ich das Pedal aus dem Radkasten, zieh den Fuß hinterher und will vorne das Kennzeichen ablesen. So einer, habe ich mir immer geschworen, kommt mir nicht unter versuchtem Totschlag davon. Das guckt sich jetzt mal die Polizei an, die Sorte ist anders nicht resozialisierbar. Aber scheiße – es ist der Dieter (Name von der Redaktion geändert), was da aus dem Auto krabbelt! „Sorry, hab disch net gesehe,“ kräht Dieter. „Sag mal, wir kennen uns doch“, sage ich. Dieter guckt eine Weile, ruft dann: „Mensch, Eddy, des gibbs doch gannet. Tut mer escht leid. Iss was passiert, samma do?“

Na ja, wie mans nimmt. Den Dieter kenne ich von zahlreichen Hoffesten in meiner Straße. Wir haben schon manche Flasche Wein zusammen geleert, manchen Vogel sein erstes Lied singen hören morgens. Wir und noch zwei, drei andere. Den Dieter zeige ich auf keinen Fall an. Dem rede ich ins Gewissen, das ja. „Du musst da mal drüber nachdenken, Dieter. Das hätte ganz anders ausgehen können eben.“ Dieter und Nachdenken sind allerdings nicht leicht in eine engere Verbindung zu bringen. „Ja scheiße. Aber ich hab disch escht net gesehe!“, ist ihm erneut wichtig zu betonen. Was genau will er mir mitteilen? Dass er andere Leute, wenn er sie sieht, absichtlich umfährt und dass ich so unbeliebt wie die bei ihm gar nicht bin? Würde mich das, falls es die Botschaft ist, in dem Moment trösten?

„Isch zahl des, gakaa Fraach“, sagt Dieter, nachdem ich testweise gemerkt habe, dass das Fahrrad nicht mehr fährt. Der Fußknöchel schmerzt. Zur Arbeit gehe ich heute nicht mehr. Zum Arzt dann auch nicht. Dem Hausarzt habe ich dummerweise erzählt, dass es ein Wegeunfall war. Damit darf er mich nicht mehr untersuchen. Den Unfallarzt müsste ich erst mal selber zahlen und die Berufsgenossenschaft lasse ich aus dem Spiel. Einmal wegen Dieter. Dann auch wegen des einzigen Arbeitsunfalls, den ich jemals gemeldet habe. Auf einer Dienstreise war der. Die Sachbearbeiterin entnahm den eineinhalb Zeilen des Unfallarztes, dass meine körperliche Fitness für Belastungen wie Reisen nicht mehr ausgereicht habe, weshalb es sich um keinen Arbeitsunfall gehandelt habe, da ich die Reise unberechtigterweise angetreten hätte. Auf der Unfallarztrechnung blieb ich sitzen. Bei dem Versuch, die Entscheidung der Sachbearbeiterin anzufechten, erfuhr ich, dass die Dame krankgeschrieben sei. Sechs Monate blieb das so. Ich gab auf.

Gut, der Dieter hätte diesmal gezahlt. Ich hatte einfach keinen Bock auf die Berufsgenossenschaft, an der ich nicht vorbeigekommen wäre, und keinen auf den Ärger, den der Dieter dann bekommen hätte. Er hat die Fahrradwerkstatt bezahlt. Das reicht: Wir haben ihm schön was aufgeschrieben.

Elemental Child & Frankie Kay – Certain Victory

“Of all the nasty outcomes predicted for women’s liberation…none was more alarming than the suggestion that women would eventually become just like men.” ― Barbara Ehrenreich

„Von all den unangenehmen Folgen, die der Frauenbefreiung vorausgesagt wurden, war keine beunruhigender als die Behauptung, dass Frauen schließlich genauso werden würden wie Männer.“ – Barbara Ehrenreich

Music & Production by Elemental Child & Frankie Kay © 2023

 

Late Summer Day by Bam Dorner Productions

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Der Sommer liegt in den letzten Zügen. Zuerst war es im August recht kühl und regnete viel, aber in den letzten 2 Wochen knallt wieder die Hitze auf das ergraute Haupt 🙂


The summer is on its last legs. First it was quite cool in August and rained a lot, but in the last 2 weeks again the heat slams on the graying head 🙂

Retroneo Style ORGAN Synthesizer Plugin by VisareTone[Windows,VSTI,x86]

Retoneo Style ORGAN it is a hybrid of the Synthesizer, Instrument and Organ. Classic and expressive-dynamic sounds of the Synthesizer/-SynthesizerI-, SynthesizerII-, -Illustrations-, -Cinema-, -Vintage-, -Cosmic-, -War Games-/. Classic and vibrate tones of the Tonewheel Organ. Piano, Guitar and Orchestral Instruments. Bank – 128 Presets. Nine Standard Drawbars /switch Unisono for…

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Bam Dorner Productions – Falling Leaves

© Bam Dorner Productions 2020

im November 2020 war ich an einem Samstag zum Spazierengehen verdammt, den ganz in der Nähe, wo ich wohne, wurde eine Weltkriegsbombe bei Bauarbeiten entdeckt und wir mussten alle unsere Wohnungen verlassen. Da Lockdown(Corona) herrschte, konnte man die zeit nicht in einem Lokal überbrücken, also bin ich in meiner Gegend rumgelaufen und habe den Speicher meines Handys vollgeknipst. Den Track hatte ich ein paar Tage vorher gemacht.
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in November 2020 I was condemned to walk on a Saturday, the very near where I live, a world war bomb was discovered during construction work and we all had to leave our homes. Since Lockdown(Corona) prevailed, the time could not be bridged in a pub, so I walked around in my neighborhood and have the storage of my cell phone full. I had made the track a few days before.

NIH Plug Bundle VST3 CLAP Windows macOS [FREE]

NIH-plug is a FREE plugin framework, and you can currently download eight FREE VST plugins to try it out, including a free Disperser emulation. JUCE has long dominated the audio DSP development realm. Having a readily available framework for development is a fantastic resource for those venturing into making their…

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Elemental Child – In the middle of nowhere

In the middle of nowhere – Everything seems strange

In this wasteland – you have to find your own way

In the middle of nowhere – nothing is as it was

But you can choose – which way to go

 

Mitten im Nirgendwo – Alles erscheint fremd

In dieser Einöde musst du sehen, wo du bleibst

Am Ende der Welt – nichts ist wie es war

Aber du hast die Wahl, welchen Weg du gehen willst

Die Geschmähte

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Neulich war ich in Kassel, weil ich sie noch mal sehen wollte, die documenta fifteen, falls es sie denn noch gab. Kunstausstellungen werden ja gerne verboten. Obwohl das Totschmähen und -schweigen doch effizienter ist (fernwestliche Weisheit). Tatsächlich habe ich sie bei bester Gesundheit angetroffen:

Guten Morgen, Herr Ewart Reder. Guten Morgen, Herr Volker Beck. Guten Morgen, Herr Sascha Lobo. Möge das Geschenk des Wassers Gottes Liebe aus Ihrer Dusche auf Sie herabregnen lassen. Der Süden hat eine Neuigkeit für Sie: Man muss Wasser gar nicht heizen. Das tu ich gern: teilen, was die ganze Welt weiß außer ein paar Gesellschaften, die sich als Vorleger des Bettes definieren, in dem das Geld mit sich selbst schläft – teilen mit diesen Gesellschaften. Lumbung, die Reisscheune, ist groß genug für alle. Auch für jüdische Menschen selbstverständlich und ganz besonders. Zweitausend Jahre Vertreibung, Ausgrenzung und Vernichtung sichern ihnen die Anteilnahme und Solidarität aller Menschen, von denen viel zu viele Vergleichbares erlebt haben. Nicht Gleiches. Begriffe machen Besonderes gleich, darum erzähle ich lieber. Dass ich Fehler mache, weiß ich, bevor ich sie mache, darum tun sie mir aber nicht weniger leid hinterher. Vielleicht wussten manche nicht, dass der Staat Israel, der viel Gutes hat, seine Regierung und seine Armee Verbrechen begehen. Dann kommt hier die nächste Neuigkeit aus dem Süden: Alle Staaten, Regierungen und Armeen tun das. Und wieder erzähle ich lieber: Deutschland unterstützt, bewaffnet und befähigt damit die Türkei, Volksgruppen in ihrem Südosten und außerhalb ihres Staatsgebiets anzugreifen. Übrigens: Von Opfern dieser Aggression stelle ich eine Kunstdefinition aus, ein Mann aus Rojava erklärt die traditionellen Liebeslieder seines Landes folgendermaßen: Alles hat zu tun mit der Schönheit der Frauen, die alles um sie herum in Schönheit verwandelt und damit in Kunst. Wie gesagt, ich mache Fehler – du darfst auch welche machen. Hiermit spreche ich Menschen an, die das bestehende Weltverhältnis normal und in Ordnung finden. Jede/r kann lernen, sich korrigieren, und ich persönlich will das mehr als alles andere. Lernen. Wie ich zum Beispiel selber gerechter werde. Sodass mich auch Menschen ohne Geld besuchen können. Oder dass nicht alles, was es in meiner Nähe zu essen gibt, das Doppelte kostet wie im Rest von Kassel. Oder dass die sobat-sobat = „Freunde“ = Kunstvermittler:innen nicht die eigenen Masterarbeiten und Kulturkontakte wichtiger finden als die Menschen, die sie führen, oder die Kunst, die sie zeigen. Oder dass die Besucher:innen ihre Meinung sagen können auch außerhalb der spärlichen von mir geschaffenen Gelegenheiten, die gerne weiter geflüstert werden und nur halb öffentlich gemacht. Und dass hoffentlich meine Künstler:innen nicht schon nächstes Jahr das Gleiche sind wie die Auserwählten anderer internationaler Kunstausstellungen: gemachte Leute. Also unecht.

Review Donner Spaceline DMK-25 Deutsch/German

Dank der Fa. Donner haben die mir ein MIDI-Keyboard Spaceline DMK 25 zum Testen zur Verfügung gestellt. Mit den Maßen von 30*18*2 cm ist kleiner als eine Standard Computer Tastatur. Die Klaviatur ist halb so groß wie der Standard, trotzdem noch in einer Größe, das man sie noch mit Wurstfinger bedienen kann. Bedienungselemente: auf…

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„Vater von Midi“ mit 72 Jahren verstorben

Dave Smith hat den ersten mikroprozessorgesteuerten Synthesizer sowie das Midi-Protokoll geschaffen.

Midi-Erfinder Dave Smith

Der Erfinder des Midi-Protokolls Dave Smith ist mit 72 Jahren verstorben. Das hat das von ihm gegründete Unternehmen Sequential mitgeteilt. Smith war maßgeblich an der Schaffung von Midi beteiligt – dem Industriestandard für die Kommunikation zwischen elektronischen Instrumenten.

1982 hatte Smith das zusammen mit Takahashi Ikutaro entwickelte Midi-Protokoll vorgestellt. Mit Hilfe von Midi können elektronische Instrumente miteinander kommunizieren; der Standard schließt sowohl die Konfiguration der beteiligten Hardware als auch das Kommunikationsprotokoll an sich ein.

Midi war ursprünglich für die Kommunikation zwischen elektronischen Instrumenten vorgesehen. So konnten beispielsweise Tastaturen mehrere Synthesizer ansteuern. Die Technik bekam durch die wachsende Verbreitung von Computern innerhalb der 1980er und 1990er Jahre zudem eine neue Bedeutung. Dank des Midi-Protokolls können Musiker beispielsweise Notenmaterial direkt über Computerprogramme einspielen – ein physischer Synthesizer ist nicht mehr nötig. Die eingespielten Noten können zudem im Nachhinein verändert werden. Dabei werden alle Steuerdaten gespeichert.

Quelle: https://www.golem.de/news/dave-smith-vater-von-midi-mit-72-jahren-verstorben-2206-165846.html

Der gläserne Hamlet

Heute hat meine Bierflasche das Wort. Von dieser Stelle aus haben schon so viele Sachen gesprochen und meine Bierflasche musste still zuhören, durfte nicht mucksen (oder glucksen), wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt. Das macht was mit einer Bierflasche. Ich spüre es. Wir kennen uns ja schon lange. Stehen uns nahe, sage ich mal. Ehe ich also noch richtig Ärger kriege mit ihr: Bühne frei für meine Bierflasche – prost!

Ja, prost. Und dabei immer schön in die Augen geschaut!

Wen oder was habe ich vor mir?

Ich blicke auf einen Schädel mit geöffnetem Mund. Rein oder nicht rein?, das ist hier die Frage. Die Original-Hamletfrage ist übrigens keine Entscheidungsfrage, wie viele denken, sondern eine Frage der Bewertung. Was ist schlimmer?, fragt Hamlet sich. Und frage ich mich. Zweierlei Übeln stehe ich gegenüber: dem Verschmäht werden – vielleicht das Schlimmste, was Flaschen und Menschen überhaupt kennen – oder alternativ dem Verschluckt werden von einer fremden, unappetitlichen und obendrein undurchsichtigen Macht.

Ich stelle mir aber noch mehr Fragen. Am Anfang eines Dates mit dem Kerl stelle ich andere Fragen als in der Mitte oder am Ende.

Anfangs, wenn ich noch voll bin, gucke ich seinen Schädel an und frage mich: Ist er schon voll oder ist es noch früh am Abend? Was war schon alles und was kommt noch? Eine Bierflasche weiß, dass sie nicht die Einzige ist im Leben eines Mannes. Wir stehen in einer langen Reihe von Erfahrungen, die für unsere Männer sein müssen. Eine Bierflasche kapiert so was. Es ist nicht Eifersucht, was ich empfinde, sondern Unsicherheit, welche Rolle ich für ihn spielen werde. Traut man uns Bierflaschen gar nicht zu, aber wir sind sensibel und beziehungsorientiert, typische Melancholiker.

Wenn ich nur noch halb voll bin, gucke ich ihn an und stelle den Fragen-Klassiker: Halb voll oder halb leer? Da wirds zwischen uns richtig emotional. Stehen wir uns jetzt näher, sind wir uns ähnlicher geworden, seit die Hälfte von mir ein Teil von ihm ist? Seine Blicke sagen eindeutig: Ja. Wenn es nicht Liebe ist, mit was er mich anguckt, dann auf jeden Fall etwas mir inhaltlich Vertrautes. Eine Wärme, wie sie inzwischen auch in mir herrscht. Eine innere Weichheit, wie auch ich sie hinter dem harten, dunklen Glas meines Äußeren verberge. Ein leicht bitterer Beigeschmack – er nennt ihn „das Leben“, ich sage „Hopfen“ dazu, aber das sind nur Äußerlichkeiten zwischen zweien, die ihr Inneres miteinander teilen.

Am Ende, wenn ich leer bin, werden meine Fragen grundsätzlich. Ist die Leere in mir gleich der Leere in ihm? Eine Leere, die mir von Geburt, oder sagen wir „ab Werk“, fremd ist – woher habe ich sie? Entstand sie nicht durch ihn? Und ist es dann abwegig, ihn als Quelle und Urheber meiner Leere wahrzunehmen? Verhält es sich allerdings so, muss ich feststellen, dass zwischen uns ein für mich unvorteilhafter Tausch stattgefunden hat. Ich gab ihm alles, was ich hatte und was er im Übrigen durchaus zu schätzen weiß. Er gab mir im Austausch dafür seine Leere und guckt enttäuscht durch mich durch, während ich umgekehrt durch ihn jetzt weniger durchblicke als je zuvor. Der Eindruck verdichtet sich noch, wenn er anfängt mit mir zu reden und sich unzutreffender Weise von mir verstanden fühlt.

Mein Fazit als Bierflasche lautet: So oder so ist er mein Schicksal und ob dieses schlimm ist, weiß ich nicht, da ich nichts außer seinen Schädel je kennengelernt habe und mein Schicksal also mit nichts vergleichen kann.

Elemental Child – Green Light

In a post-war world, Mari, a survivor, stumbles upon a robot soldier called M626 at an abandoned city. She tries to revive the soldier and they soon become friends.

In einer Nachkriegswelt stößt Mari, eine Überlebende, in einer verlassenen Stadt auf einen Robotersoldaten namens M626. Sie versucht, den Soldaten wieder zu beleben, und die beiden werden bald Freunde.

Mensch von Romy Haag

Du wurdest nackt geboren…
Du wirst wieder nackt sterben…
Du bist schwach gekommen…
So schwach, dass du wieder gehst.
Du kamst ohne Geld und Material…
Du wirst ohne Geld und Material gehen…
Deine erste Dusche… es war jemand, der dich gewaschen und angezogen hat…
Deine allerletzte Dusche… jemand, der dich wäscht und anzieht…
Das ist der Mensch…
Warum also so viel Stolz, so viel Bosheit, so viel Neid, so viel Hass, so viel Missmut, so viel Egoismus…
Wir haben begrenzte Zeit auf der Erde und verschwenden sie mit Sinnlosigkeit. Das Leben ist ein schneller Schlag.
Quelle: Romy Haag, Universal-Künstler*in

Der Hörende

Ursprünglich wollte an dieser Stelle meine Bierflasche sprechen. Aber die kann warten. Wenn etwas in meinem Leben die Gewähr bietet, mir in alle Zukunft treu zu sein, dann ist es die Bierflasche. Daher spricht an dieser Stelle heute mein Balkon. Ich beneide ihn um das, was er erlebt, wenn ich nicht da bin, und habe ihn gebeten, etwas davon mit mir zu teilen.

Was heißt ‚mit dir‘? Das hier lesen Unzählige, die das genauso brennend interessiert.

Ich muss zunächst meine Lage erklären. Aus der ergibt sich nämlich, was ich erlebe: Vis à vis steht ein zweistöckiges Acht-Parteien-Mietshaus mit vier Balkonen. Zwei gucken von oben herab auf mich, zwei auf Augenhöhe zu mir herüber. Auf mindestens einem Balkon sitzt oder steht eigentlich immer mindestens eine Person und unterhält sich, sei es mit einer weiteren Person auf dem Balkon, sei es mit einer Person auf einem anderen Balkon oder sei es auch mit einer auf dem Hof stehenden Person, was dann noch unwesentlich lauter wird. Die vier Parteien, die keinen Balkon haben, stehen meistens auf dem Hof und unterhalten sich, entweder untereinander oder mit einer Person, die allein auf einem der Balkone steht und auch jemanden braucht, mit dem sie sich unterhalten kann. Hier ist eigentlich immer was los.

Aber warum erzähle ich dir das? Du sitzt doch oft genug auf mir, könntest es selber mitkriegen. Ich weiß, du behauptest immer dezent wegzuhören, weil die Mitteilungen deiner Nachbarn dich angeblich nichts angehen und du überdies versuchst dich auf dein Buch zu konzentrieren. Was meiner Meinung nach unmöglich ist bei dem Dauergespräch. In das bin ich und bist gelegentlich auch du akustisch nun mal miteinbezogen. Aber egal, ich erlebe hier schon so einiges.

Oben links die Rentnerrunde zum Beispiel. Saß heute wieder beisammen. Der Mieter ist letztes Jahr in Rente gegangen, die meisten seiner Freunde sind da schon länger. Von denen wird er noch nicht so richtig ernst genommen.

„Na, warste wieder auf der Arbeit?“, fragt einer. „Biste mal wieder hin und hast geguckt, was die so schaffen? Erzähl doch mal.“

„Na ja“, sagt der Mieter, „gestern war ich schon mal wieder da. Die haben so Meetings jetzt, das glaubst du nicht. Geleitet wird das von einem Manager. Der Teamleiter muss kommen, von jedem Team, und die anderen können online teilnehmen, oder sie kommen in die Firma, grad wie jeder lustig ist. Aber glaub nicht, dass da jemand kommt – online. Mein Teamleiter hat das Ganze verpennt, der war zwanzig Minuten zu spät da – online. Da war er dann auch alleine von seinem Team, nee wirklich, das kann sich keiner vorstellen. Na ja, zu essen gabs und zu trinken. Also sagen wir mal: zu essen. Und viele waren da nicht, also gabs genug. Aber sonst, nee ganz ehrlich, keinen Tag zu früh bin ich da weg. Das will sich keiner mehr antun.“

Oder oben rechts, der Ex-Alleinerziehende. Mit den drei alleinerziehenden Töchtern. Eine steht heute im Hof mit ihrem Jungen und klingelt. Opa winkt vom Balkon. Eine Minute später kommt er raus und fragt aufgeräumt: „Und? Wo geht‘s hin? Pizza, Schnitzel, Hamburger?“

„Sorry, wir haben grad gegessen“, sagt die Tochter und steigt ein, als Opas Auto geblinkt und mit einem Stöhnen die Türen aufgemacht hat. Gedankenverloren steigen Opa und Enkel zu.

Aber wo fahren die jetzt hin? Was machen die jetzt – der eine hungrig, die zweite schuldig an der verratzten Unternehmensplanung, der dritte den zwei anderen einfach nur ausgeliefert? Ich werde es niemals erfahren! Manchmal will ich auch gar nicht mehr zuhören. Wenn es spannend wird, gehen die Leute rein und machen die Balkontür zu oder sie steigen in ihre verdammten Autos und streiten sich da drin weiter. Ich wünschte, ich hätte auch so ein Buch, in das ich mich vergraben könnte und so tun, als hätte ich keine Ohren.

The Anti-DicKtators – Russian Warship Go F k Yourself

The Anti-DicKtators are a collaboration of likeminded musicians horrified at what’s going on in Ukraine at the moment, and wanting in their own small way to help contribute to raising awareness and money for a relief fund (details below).

They are producer Phil Meadley (The Gaslight Troubadours), vocalist/songwriter Yuriy Gurzhy (RotFront/Shtetl Superstars), fiddle player Jon Sevink (Levellers), bassist Tom Robinson (Tom Robinson Band/BBC Radio 6Music presenter), and vocalist Katya Tasheva (RotFront).

Yuriy is a Ukrainian who moved to Berlin at the age of 20. He’s a musician, DJ, producer and celebrated author who’s recently been keeping a war diary for German newspaper Der Tagesspiegel. He explains that the song lyrics are based around the story of the small handful of Ukrainian soldiers on Snake Island in the early days of the Russian invasion who responded to a Russian naval commander “Russian warship, go f**k yourself!” when they were told to surrender. It’s now become rallying cry for Ukrainians and the slogan has even been made into a Ukrainian postal service stamp to commemorate their bravery.

“We are shocked and hurt to see what’s been happening in Ukraine,” he says. “And how brutally Russia wipes out its cities, towns and villages. Ukrainians fight back like superheroes but even if this unjust, cruel war will be over soon, it’ll need every pound or dollar of what’s been donated so far. So we join those who’ve been raising money and ask you to donate for The Ukraine Trust Chain (who are bringing aid and evacuations to Ukrainians in the active war zone) by purchasing a song that in three minutes teaches you the main sentence in Russian that you need to know at the moment.”

Pink Floyd – Hey Hey Rise Up (feat. Andriy Khlyvnyuk of Boombox)

Here is the official video for ‚Hey Hey Rise Up‘, Pink Floyd’s new Ukraine fundraiser feat Andriy Khlyvnyuk of Boombox. Stream / download at http://pinkfloyd.lnk.to/HeyHeyRiseUp

‚Hey Hey Rise Up‘, released in support of the people of Ukraine, sees David Gilmour and Nick Mason joined by long time Pink Floyd bass player Guy Pratt and Nitin Sawhney on keyboards, all accompanying an extraordinary vocal by Andriy Khlyvnyuk of Ukrainian band Boombox. All proceeds go to Ukrainian Humanitarian Relief.

This is the first new original music that they have recorded together as a band since 1994’s The Division Bell.

The track uses Andriy’s vocals taken from his Instagram post of him in Kyiv’s Sofiyskaya Square singing ‘The Red Viburnum In The Meadow’, a rousing Ukrainian protest song written during the first world war. The title of the Pink Floyd track is taken from the last line of the song which translates as ‘Hey, hey, rise up and rejoice’. The song’s opening choral parts are by Ukrainian VERYOVKA Folk Song and Dance Ensemble.

Gilmour, who has a Ukrainian daughter-in-law and grandchildren says: “We, like so many, have been feeling the fury and the frustration of this vile act of an independent, peaceful democratic country being invaded and having its people murdered by one of the world’s major powers”.

Gilmour explains how he came to know Andriy and his band Boombox. “In 2015, I played a show at Koko in London in support of the Belarus Free Theatre, whose members have been imprisoned. Pussy Riot and the Ukrainian band, Boombox, were also on the bill. They were supposed to do their own set, but their singer Andriy had visa problems, so the rest of the band backed me for my set – we played Wish You Were Here for Andriy that night. Recently I read that Andriy had left his American tour with Boombox, had gone back to Ukraine, and joined up with the Territorial Defense. Then I saw this incredible video on Instagram, where he stands in a square in Kyiv with this beautiful gold-domed church and sings in the silence of a city with no traffic or background noise because of the war. It was a powerful moment that made me want to put it to music.”

While writing the music for the track, David managed to speak with Andriy from his hospital bed in Kyiv where he was recovering from a mortar shrapnel injury. “I played him a little bit of the song down the phone line and he gave me his blessing. We both hope to do something together in person in the future.”

Speaking about the track Gilmour says, “I hope it will receive wide support and publicity. We want to raise funds for humanitarian charities, and raise morale. We want express our support for Ukraine and in that way, show that most of the world thinks that it is totally wrong for a superpower to invade the independent democratic country that Ukraine has become.”

The video for ‘Hey Hey Rise Up’ was filmed by acclaimed director Mat Whitecross and shot on the same day as the track was recorded. David Gilmour “We recorded the track and video in our barn where we did all our Von Trapped Family live streams during lockdown. It’s the same room that we did the ‚Barn Jams‘ with Rick Wright back in 2007. Janina Pedan made the set in a day and we had Andriy singing on the screen while we played, so the four of us had a vocalist, albeit not one who was physically present with us.”

The artwork for the track features a painting of the national flower of Ukraine, the sunflower, by the Cuban artist, Yosan Leon. The cover of the single is a direct reference to the woman who was seen around the world giving sunflower seeds to Russian soldiers and telling them to carry them in their pockets so that when they die, sunflowers will grow.

LYRICS
Oyu luzi chervona kalyna pokhylylasya,
Chohos‘ nasha slavna Ukrayina zazhurylasya.
A my tuyu chervonu kalynu pidiymemo,
A my nashu slavnu Ukrayinu, hey-hey, rozveselymo!

peace for the world by Bam Dorner

© Bam Dorner Production 2022

Am 24.02.2022 begann eine neue Zeitrechnung. Russland ist in die Ukraine einmarschiert und begann einen äußerst brutalen Krieg zu führen.

Die Gefahr ist noch nicht gebannt, das sich daraus ein Weltkrieg entwickelt….

Putin und die NATO gifteten sich schon lange an. Putin entwickelt sich zum echten Diktator, der Einwohnern kaum mehr Luft zum atmen lässt.

Jedes Wort gegen die Regierung kann mit jahrelangen Straflager enden


On 24.02.2022 a new era began. Russia invaded Ukraine and began to wage an extremely brutal war.

The danger has not yet been averted that this will develop into a world war….

Putin and NATO have long been nagging at each other. Putin is developing into a real dictator, who hardly allows residents to breathe.

Every word against the government can end with years in prison camps.

Der Wahlversager

Die Bundestagswahl ist geschafft. Alle Kanäle quellen von Siegerbildsequenzen über. Die Auswahl an Koalitionen ist Schwindel erregend im doppelten Wortsinn. Beim Zappen treffe ich den Wähler mutterseelenallein vor einer Kamera. Er soll zum Wahlausgang Stellung nehmen. Er nimmt sie:

Der heutige Wahlabend ist ein schwarzer Abend für mich. Also dunkel – nicht schwarz in dem Sinne. Meine Niederlage gilt es unumwunden einzugestehen. Das gebietet die Demut. Ich habe die Wahl verloren, gar keine Frage.

Sechzehn Jahre des Werbens um meine Einsicht waren umsonst. Ich habe die Bundesregierung nicht verstanden. Und das, obwohl Mutti extra langsam mit mir gesprochen und ihr Ablöser sie an Gedankentempo noch untertroffen hat. In der Folge bin ich hoffnungs- und führerlos dem Treiben unbekannter Mächte ausgeliefert. Es ist wie das Ende des Schwarzweiß-Fernsehens, an das ich mich noch traumatisch erinnere: Lauter bunte Farben brechen über das Land herein, paaren sich am hellen Tage miteinander. Als hätte es ein 1957 mit absoluter Mehrheit für die CDU/CSU nie gegeben.

Ich habe halt keine Ahnung von Politik. Und das hat die CDU/CSU unnachsichtig bestraft mit dem Rückzug von ihrer Macht über mich. Zwar redet sie mir noch gut zu, behauptet, am Brunnen vor dem Tore da stehe ein Lindner und träume für mich einen süßen Traum von Jamaica. Aber den verdiene ich nicht. Ich habe einen glasklaren Regierungsauftrag erteilt, und zwar an die Geldwäscherei Scholz & Warburg in Hamburg, Zweigstelle Berlin. Wer so was macht, hat das Vertrauen der CDU auf Jahrzehnte verspielt und keinerlei Anspruch mehr auf ein Bankkonto bei irgendeiner Deutschen Bank.

Auch das Lob dafür, dass ich die Linke halbiert habe, verdiene ich nicht. Denn meine linken Leihstimmen für SPD und Grüne haben der CDU erst den Todesstoß versetzt. Und das Allerperfideste an mir bei meiner Leihstimmenkampagne war: Die erwartbare Politik einer neuen Rotgrün geführten Bundesregierung (mit Hepatitis L) wird den Stimmenanteil der Linken bei der nächsten Bundestagswahl verfünffachen! Abgesehen davon, dass die Linke ab sofort vier Jahre lang die Oppositionsrolle alleine spielen darf, ohne von einer anderen Partei darin gestört zu werden.

Fazit: Ein Wähler, der sich derart gravierende Wahlschnitzer erlaubt, hat das Recht auf die politische Mitwirkung der Parteien an seinem Wahlzirkus verwirkt und wird zu vier Jahren politischer Untätigkeit verurteilt.